Bedeutung des BR Studiobaus
Energieeffizient und nachhaltig - schon seit 60 Jahren
30 Meter hoch, bis zu 12 Meter tief liegen seine Grundfesten unter der Erde, 3000 Tonnen Betonstahl wurden auf dem Kiesbett verbaut, 25.000 Kubikmeter Beton, 2000 Kubikmeter Holz, Tonnen von Muschelkalkplatten für die Fassade, Marmor, Sandstein, Mooreichen, Nuss- und Kirschbaumhölzer, also Unmengen an edelsten Materialien, die den Studiobau auch nach fast 60 Jahren intensivster Nutzung ohne Generalsanierung vollfunktionsfähig erhalten haben.
Vergleicht man ihn etwa mit der Neuen Pinakothek, 1981 eröffnet, seit 2019 schon wieder geschlossen wegen einer Sanierung für über 80 Millionen, so steht doch das „Haus des guten Tons“ wie ein Fels in der Brandung. Ein Juwel, wie ihn jüngst Jerry Boys, der vielfach ausgezeichnete Grammy-Preisträger - unter anderem für „Buena Vista Social Club“ nannte. Er kam extra aus London angereist.
Der Studiobau – die bayerische Antwort auf die legendären Abbey Road Studios in London – Vom Pumuckl bis zu Igor Levit
Der Studiobau des BR schrieb Rundfunkgeschichte und ist Produktionsstätte unzähliger akustischer Highlights, preisgekrönter Musikproduktionen, Hörspiele, Lesungen und Features. Die Studios, freihängend mit speziellen Decken und Wandpanelen ausgestattet, sind unwiederbringlich. Jedes ein akustisches Highlight, das nicht nur Künstler begeistert wie Vesselina Kasarova, Anna Netrebko, Ewa Kupiec, Sol Gabetta, Kirill Gerstein, Igor Levit, sondern auch Katie Melua oder Christian Gerhaher und Gerold Huber, die für ihre Gesamteinspielung der Schumann-Lieder 2022 mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurden.
Der Studiobau steht für die Sozialisation vieler Generationen. Hier wurde der Pumuckl produziert und Straßenfeger wie „Per Anhalter ins All“, „Die Grandauers und ihre Zeit“, besser bekannt unter „Die Löwengrube“, „Dickie Dick Dickens“, „Gestatten mein Name ist Cox“, „Paul Temple“ oder „Der Zauberberg“, genauso wie der erste interaktive „Radio-Tatort“, „Der Mann ohne Eigenschaften“, „Saal 101. Dokumentarhörspiel zum NSU-Prozess“ oder „Die Quellen sprechen“.
Gustl Bayrhammer oder Jörg Hube, Gerhard Polt oder Therese Giehse, Thomas Holtzmann, Rolf Boysen oder Percy Adlon gingen hier ein und aus. Udo Wachtveitl startete hier seine Schauspiel- und Sprecherkarriere, der Studiobau war Startrampe für Jessye Norman oder Jonas Kaufmann, für Thomas Gottschalk und Günther Jauch, preisgekrönte Hörbücher entstanden mit Josef Bierbichler, Ulrich Noethen, Ulrich Matthes, Katharina Thalbach, Valery Tscheplanowa, prominente Gäste wie Uwe Timm, Orhan Pamuk, Ian McEwan oder Robert Walser, beherbergte der Bau, endlos die Liste der Kulturgranden Deutschlands, von Hannah Arendt, Joachim Kaiser, Ingeborg Bachmann bis Elfriede Jelinek, die hier dachten und debattierten, als Audio für immer festgehalten.
Der Studiobau steht für die Dokumentation von 100 Jahren Zeit- und Kulturgeschichte. Mit dem Verschwinden des Baus wird auch die kontinuierliche Aufzeichnung etwa von Jazz- und Volksmusik ab 2025 abreißen, denn im Campus von Freimann sind Veranstaltungen mit Publikum nicht vorgesehen und auch nicht mehr finanzierbar.
Präziser Umgang mit Raum und eine bewusste Inszenierung räumlicher Sequenzen
Zu verdanken ist das vor allem dem Architekten Josef Wiedemann, der München in der Nachkriegszeit entscheidend geprägt hat, etwa mit dem Neubau der Allianz, dem Wiederaufbau der Glyptothek, der Alten Akademie oder den Hofgartenarkaden, den Kirchen „Maria vom guten Rat“ oder „Zur Heiligsten Dreifaltigkeit“. Sein Gestaltungswille, sein Faible für dänisches Design (Arne Jacobsen), sein Sinn für hochqualitative Materialien prägen den Studiobau, in dem drei große Studios im Erdgeschoß für Aufnahme und öffentliche Veranstaltungen untergebracht sind, im 3. bis 5. Stock drei weitere Studios für kleinere Events (etwa die Zündfunkreihe „Nachtsession“), sechs Studios mit Tonregie und Aufnahmeräumen, alle geeignet für 3 bis 4 SprecherInnen.
Alles perfekte akustische Verhältnisse durch die Haus-im-Haus-Bauweise, frei aufgehängt wie bei der Elbphilharmonie in Hamburg.
Die bayerische Elbphilharmonie
Das mag vielen übertrieben erscheinen, aber akustisch sind Studiobau und Elbphilharmonie durchaus ebenbürtig. Natürlich ist das zurecht gehipte Hamburger Gebäude ein Repräsentationsbau und der BR Studiobau nicht.
Obwohl ein Zweckbau, hat Josef Wiedemann auch hier viele künstlerische Überlegungen umgesetzt. Bestechend der präzise Umgang mit den Räumen, perfekt den Produktionsabläufen angepasst, sein ausgeprägter Gestaltungswille, der sich nicht nur an den Fußböden im Palisanerfoyer zeigt (ein Kunstwerk von Robert Lippl), sondern auch bei den Künstlergarderoben, dem Künstlerfoyer im Untergeschoß, der puristischen Außenfassade, die mit ihren frei aufgehängten, hinterlüfteten Kalksteinplatten (erstmalig in Deutschland und in heutigem Sinn energieeffizient und nachhaltig!) hochkant aufgehängt mit dem denkmalgeschützten Riemerschmid-Bau korrespondiert, mit der modernen Treppenfenstergestaltung, schmale Fensterbänder, die mit den Treppenaufgängen kommunizieren. Ein Bau von edler Einfalt und stiller Größe. Die Form folgt der Funktion. Warum der einzigartige, im Original erhaltene Bau nicht als Denkmal bewertet wird, das wird das ewige Geheimnis von Generalkonservator Prof. Dipl.-Ing. Matthias Pfeil bleiben.
Mit zusätzlichen ca. 30 schallisolierten Proberäumen ist das Gebäude ein exzellenter Mediencampus für Musik und Sprache, für Filmmusik und 3D-Klangexperimente, Live-Hörspielevents, Konzerte, Festivals und Panels aller Art. Das PULS-Festival lockte vor der Corona-Epidemie etwa 4.500 Fans an. Der Jazz hat hier seine Heimat genauso wie die Volksmusik, das Rundfunkorchester als auch der preisgekrönte Rundfunkchor. Die Musikevents, professionell aufgenommen und für die Nachwelt konserviert.
Ein Bau also, perfekt gebaut für Musik- und Wortaufnahmen, mit Klavierwerkstatt und Instrumentenlager, mit vielen Büroräumen und 6 Aufzügen für Mensch und Musikinstrumente, soll nun abgerissen werden, obwohl die Münchner Kunstschaffenden händeringend nach Proberäumen und Büros suchen, nach Plätzen für künstlerisch kreativen Austausch, nach Auftrittsorten. Heute, in Zeiten, in denen Architekten im Sinne der Nachhaltigkeit bauen, „reduce, reuse und recycle“. ist ein Abbruch schon aus ökologischen Gesichtspunkten mehr als fragwürdig. Längst spricht man nicht mehr von der „Grauen Energie“, sondern von der „Goldenen“! Und genau dafür werden Stararchitekten wie etwa Anna Lacaton und Jean-Philippe Vassal mit der renommiertesten Auszeichnung der Branche, dem Pritzker-Preis 2021, ausgezeichnet. „Goldene Energie“ auf die Müllhalde zu kippen, Abreißen und Neubauen, sind das Denken von gestern.
Bauhistorische Besonderheiten
- Benoto-Pfahlbauweise zum ersten Mal in Deutschland eingesetzt mit Unterstützung von Prof. Richard Jelinek von der TH München
- Erfindung und technische Dokumentation eines „Injektionszugankers“ durch die Firma Bauer aus Schrobenhausen zur Befestigung der Umspundung aus Benoto-Pfählen; der Anker wird 1958 patentiert
- Zum ersten Mal in Deutschland: ein Stahlskelettbau mit vorgehängter, hinterlüfteter Natursteinfassade (Muschelkalkplatten), frei aufgehängt nach amerikanischem Vorbild
- Bündig in die Natursteinfassade eingeschnittene Aluminiumfenster
- „Haus-im-Haus-Konstruktion“ für die 12 Studios, entkoppelt und auf Federn gelagert, deswegen können alle Studios gleichzeitig ohne Störgeräusche von außen und innen bespielt werden
- Sonderangefertigte Lichtdecken aus Plexiglas in den beiden großen Publikumsstudios 1 und 2 über eine Fläche von knapp 900 m2, prismenförmig profilierte Stuckdecke im Studio 3
- Je nach Studiogröße extra vermessene Wandmasken für optimale Akustik nach den neuesten Forschungen des „Instituts für Rundfunktechnik“ in Hamburg und unter Mitwirkung des Akustikers Wilhelm Struve aus Karlsruhe. Verbaut werden in Studio 1 – 3 knapp 2.000 tiefe Holzkassetten, die an den vertikalen und horizontalen Stoßkanten mit Aluminium ausgestaltet sind