Grundriss Studiobau, Studio II

Baugeschichte des Studiobaus

  • 1944
    Zerstörung des Riemerschmid-Baus und der an den Bau anschließenden drei Sendesäle, die bei Bombenangriffen komplett ausbrennen
  • 1955
    Beschluss zur Errichtung eines neuen, zukunftsweisenden Studiokomplexes
    Drei Architekten werden beauftragt: Josef Wiedemann, Werner Eichberg und Otto Roth
  • 1958
    Beginn der Bauarbeiten
  • 3.12.1959
    Richtfest
  • 1961
    Inbetriebnahme der Hörspielstudios
  • 19.9.1963
    Feierliche Einweihung mit Rundfunkorchester und Symphonieorchester

Geschichte des BR Studiobaus

„Jedes Gebäude hat eine Verantwortung gegenüber der Stadt“
(David Chipperfield)

München 1955: Die Stadt zeigt noch die Spuren des Krieges. Das Rundfunkhaus an der Hopfenstraße, 1929 erbaut vom berühmten Architekten Richard Riemerschmid, 1944 durch Bombenangriffe stark zerstört, steht wieder, aber die angebauten drei Sendesäle sind fast völlig ausgebrannt und nicht mehr instand zu setzen. Viele Redaktionen und Produktionsstätten sind ausgelagert, quer über die Stadt verstreut. Für das schnelle und aufstrebende Medium „Radio“ eine untragbare Situation. Nach eingehenden Überlegungen der Intendanz und der Verwaltungsdirektion entschließt sich der Bayerischen Rundfunk, an der Marsstraße zu bleiben. Ein Neubau auf dem Stammgelände am Hauptbahnhof soll entstehen, ein richtungsweisender Sendekomplex, ein moderner Medien-Campus mit Platz für die beiden Orchester, für Fachredaktionen, Archive, Werkstätten und Lagerräume, aber vor allem für die Aufnahme künstlerischer Produktionen.

Für diese Mammutaufgabe wurden 1955 drei Architekten beauftragt: zu allererst Josef Wiedemann, bekannt für seinen geglückten Wiederaufbau, dem schöpferischen Umgang und der Neuinterpretation des im Krieg zerstörten Leo von Klenze Baus, dem einstigen Odeon und heutigen Bayerischen Innenministerium in direkter Nachbarschaft zur Theatinerkirche, und der Alten Akademie in der Neuhauser Straße. Als Schüler von Hans Döllgast und Robert Vorhoelzer war er soeben als Professor für Entwerfen, Denkmalpflege und Sakralbau an die Technische Hochschule München berufen worden, beschäftigte mehrere Ingenieure, Bauzeichner und Werkstudenten und betrieb bis in die 70er Jahre eines der größten und erfolgreichsten Architekturbüros in München.

Als zweiter Architekt für das zukunftsweisende „Haus des guten Tons“ wurde Werner Eichberg engagiert, der 1955 auch als Fachmann für Hochbaukonstruktion an die TH München berufen wurde. Der Dritte im Bund war Otto Roth, der soeben das Studentenwohnheim Biederstein abgeschlossen hatte, das in den späten 60ern zur Keimzelle der 68er Bewegung wurde, und heute als bedeutendes Werk der Nachkriegsarchitektur auf der Denkmalliste steht.

Drei Jahre lang tüftelten die drei Experten in enger Zusammenarbeit mit der technischen Direktion des Bayerischen Rundfunks an dem neu zu schaffenden Gebäudekomplex. Einzigartig sollte er werden, nicht nur der größte in Europa, sondern auch der beste und modernste: der Leuchtturm einer Produktionsstätte und der „menschlichen und geistigen Begegnung“. Ein Abenteuer, denn die Vielfalt der Anforderungen, das „unmöglich Scheinende, möglich zu machen, und über das Notwendige hinaus auch der Form festlichen Glanz“ zu verleihen, glich einer Quadratur des Kreises.

Abenteuer Baugrubenumschließung und Fundament

Mit insgesamt 2800 Einzelplänen startete im Frühjahr 1958 das große Bauvorhaben. Und gleich zu Beginn die erste Herausforderung: das Fundament, die Aushebung der Baugrube. Da man nur sieben Stockwerke nach oben bauen durfte, musste man für zwei Geschoße 16 Meter in die Tiefe graben - und das auf einer Fläche von 60 mal 63 Metern! Kein leichtes Unterfangen, denn das Gelände liegt auf dem Ursprungskiesbett der Isar und damit musste die Sohle der Baugrube 5 Meter unter den Grundwasserspiegel gebaut werden. Mit fachkundiger Unterstützung von Prof. Richard Jelinek, der seit 1954 an der Technischen Hochschule die Abteilung Grundbau und Bodenmechanik leitete, wurde zum ersten Mal in Deutschland die Benoto-Bauweise ausgeführt. Mit dieser Pfahlbaukonstruktion befestigte zum Beispiel die französische Société Benoto auch das Hafenbecken von Le Havre nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg; bis in eine Tiefe von 30 Metern!
Professor Jelinek war Bauingenieur und eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Er baute das Geotechnik-Institut der TH München zu einem der größten in Deutschland aus und trug auch wesentlich dazu bei, den „Schiefen Turm“ von Pisa zu stabilisieren. Seine Vorschläge von 1960 wurden allerdings erst 33 Jahre später mit Erfolg umgesetzt.

Für die Umspundung der Baugrube wurden nun diese Stützpfähle in die Erde getrieben und mit Beton verfüllt, plus der Bodenwanne wegen des Grundwassers. Wegen der Tiefe und der schwierigen Bodenverhältnisse funktionierte die herkömmliche Verankerung der Benoto-Pfahlwände nicht wie ursprünglich geplant. Nun kam der Erfindungsgeist der Schrobenhausener Brunnenbaufirma Bauer zum Einsatz, die sich erst seit Anfang der 50er Jahre mit Tiefbau beschäftigte. Zusammen mit Prof. Jelinek entwickelte sie den sogenannten Injektionszuganker, eine Art Rückverankerung, die auf der BR-Baustelle dokumentiert und später zum Patent angemeldet wurde. Die Zugverankerungen reichten quer unterhalb der Marsstraße bis ins gegenüberliegende Spatenbräu-Gelände. Mit dieser Erfindung übrigens begann der weltweite Aufstieg der Schrobenhausener, die unter anderem mit diesem „Studiobau-System“ auch das Fundament für den Burj Khalifa in Abu Dhabi errichteten.

Richtfest am 3. Dezember 1959

Auf der Großbaustelle Bayerischer Rundfunk trafen verschiedene Sprachen und Dialekte aufeinander, ein kleiner „Turmbau zu Babel“. Bauexpertisen aus vielen Ländern kamen zum Einsatz, ein wildes Cross Over, wie es sich für ein Medium, das die Welt in die Wohnzimmer bringen wollte, gehörte. Bis zum Richtfest 1959 arbeiteten für den 146.000 Kubikmeter umbauten Raum 685 Arbeiter aus Frankreich, der Schweiz und Deutschland über 500.000 Stunden. Sie karrten 3000 Lastzüge Kies an, 3000 Tonnen Stahlbeton - das entspricht einer Menge von gut 50 Eisenbahnwaggons - , mischten 25.000 Kubikmeter Beton und brauchten dafür 380 Silozüge Zement. Bei einem Abbruch würde allein für den verbauten Stahlbeton über 1 Million Kubikmeter CO2 emittiert. Das bedeutet, man bräuchte über 4 Milliarden Bäume, um die CO2 Emission an einem Tag aufzufangen!
Noch vor Wintereinbruch konnte das Gebäude unter Dach gebracht werden. Eine enorme Leistung, für die sich in Anwesenheit der Münchner Honoratioren Intendant Franz Stadelmayer bei allen Mitwirkenden ausführlich bedankte. Unter den Gästen Thomas Wimmer, der wegen seiner Trümmerbeseitigungsaktion ‚Rama dama‘ unvergessene Oberbürgermeister, die Symbolfigur des Wiederaufbaus in München, der auch die geplante Schnellstraße mitten durch die Altstadt verhinderte. „So an Wimmer, kriang ma nimmer!“

Video zum Richtfest

Alles bloß keine Architektur – die Funktion bestimmt die Form des Bauens

Nach dem Vorbild seines Lehrers Robert Vorhoelzer: „Alle Architektur ist nur Hintergrund für den Menschen“, entwarf Josef Wiedemann den Studiobau des Bayerischen Rundfunks. Während sich Werner Eichberg und Otto Roth vor allem als Ingenieure einbrachten, war Josef Wiedemann für das Gestalterische zuständig. Das Gebäude wurde von innen nach außen geplant. Innen die 12 Studios, jedes für sich ein Haus, abgekoppelt von allen anderen Räumlichkeiten und dadurch schallisoliert, Decken und Wände auf Federn gelagert, die Böden schwimmend, als eine „Haus-im-Haus-Konstruktion“ wie die Elbphilharmonie in Hamburg. Außen um die teilweise über mehrere Stockwerke hohen Aufnahme- und Konzertstudios die Büros und Redaktionsräume. Josef Wiedemann war begeistert von den neuen Bürokomplexen der USA, die die Strukturierung nach Arbeitsabläufen und -bedürfnissen erfüllten. Dafür war es notwendig, sich eng mit dem Bauherrn, den Redakteuren, den Tonmeistern und den Akustikern abzustimmen: der Mensch sollte im Mittelpunkt der Planung stehen, der „Arbeits-Raum“ sollte zum „Lebens-Raum“ werden.

„In den Maßen, in der räumlichen Differenzierung, im Wechsel von Freiraum und Innenraum, von Horizontalen und Vertikalen, von Prisma und Würfel und dem Zusammenwirken der Materialien, schwingt das Lebendige. Dieser lebendige Arbeitsraum ist ebenso wenig ‚Palast‘ wie ‚Fabrik‘ sondern Haus. Den Schlüssel zu diesem Haus hat weder der schöne Schein der Ästhetik noch die Berechnung der Wirtschaftlichkeit, sondern allein, der es gebaut hat und darin arbeitet. Er muss ihm maßgebend sein: der Mensch“, schreibt Josef Wiedemann.
(Josef Wiedemann, „Gedanken“, zitiert nach Ilka Backmeister-Collacott: Josef Wiedemann – Leben und Werk eines Münchner Architekten)

Vor allem die Fassade, die hochwertigen Materialien und das durchkomponierte System von Büros, Aufnahmeräumen, den kurzen Wegen zu den Regieräumen und den Aufzügen für Menschen und Musikinstrumente, die bauhaus-ähnliche Gestaltung der Treppenhäuser an den beiden Stirnseiten des Gebäudes, begleitet von schmalen Fensterbändern, die den Verlauf der Treppen nachzeichnen, tragen Josef Wiedemanns künstlerische Handschrift. Er war schon 1930 zur Stockholmer Bauausstellung nach Helsinki gereist, begeistert vom nordischen Minimalismus, den frühen Bauten eines Alvar Aalto, Gunnar Asplund oder Arne Jacobsen. Nicht umsonst wurde Wiedemann „Arne Miesplund“ genannt, eine Kombination aus den nordischen Meisterarchitekten und Mies van der Rohe. Den skandinavischen Einfluss merkt man Wiedemanns Entwurf vor allem in der Innengestaltung des Studiobaus an: Holzverkleidungen wie in Göteburgs Rathaus, ein präziser Umgang mit Raum und eine bewusste Inszenierung räumlicher Sequenzen, die Ausgewogenheit von Tradition und Moderne, Handwerk und Architektur, Intellekt und Pragmatismus. Mit der Bodengestaltung vor den drei großen Studios beauftragte Wiedemann den Bildhauer und Maler Robert Lippl, der auch Architektur studiert hatte und mit ihm als Professor für Grundlehre des Gestaltens an der Technischen Hochschule lehrte. Verschieden farbige Steinplatten, schneckenförmig ausgelegt, fokussieren den Blick auf das Herz des Baus, die drei großen Studios mit fast 900 Sitzplätzen. Genauso die Gestaltung des Künstlerfoyers im Untergeschoß, etwa der Raum vor dem Dirigenten- und den Solistenzimmern, mit Säulen abgesetzt, zeugt von Wiedemanns künstlerischem Gestaltungswillen.

Edle Einfalt und stille Größe

Weder innen noch außen ist der Studiobau auf Effekt gebürstet. Die Form folgt der Funktion, wie es Mies van der Rohe postulierte. Das gilt nicht nur für das Interieur, wie die mit verschiedenen Hölzern und Mooreiche ausgestaltete Wandverkleidungen im skandinavischen Stil vor den großen Musikstudios im Erdgeschoß und den Hörspielstudios im 5. Zwischenstock, sondern auch für die Gestaltung der Fassade. Die Konstruktion einer vorgehängten, wärmedämmenden, hinterlüfteten Natursteinfassade importierte Wiedemann aus Amerika: unverfugte, frei an Stahlkrallen aufgehängte Muschelkalkplatten, eine Fassadenkonstruktion, die am Studiobau zum ersten Mal in Deutschland erprobt wurde. Hochkant aufgehängt korrespondieren sie mit der rechteckig strukturierten Fassade des Riemerschmid-Baus. Klima- und schallschutztechnisch gehört das Fassadenkonstrukt auch nach heutigen Maßstäben zu den besten Systemen.

Auch Aluminium als Baumaterial setzte Wiedemann nach amerikanischem Vorbild ein, in Deutschland eher verbaut in Flugzeugteilen und in Bomben, weswegen die Aluminiumherstellung von den Alliierten bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 auch verboten war. Die quadratischen Fenster aus Aluminium an den beiden Längsseiten, eingeschnitten und bündig abschließend mit der Natursteinfassade, reihen sich mit wenig Abstand schlicht und elegant zu Fensterbändern, fünfundzwanzig in jedem Stockwerk. Eine streng symmetrisch gestaltete Fassade wie ein überdimensionierter Adventskalender.

Mehr zur Fassadenkonstruktion

Logistik und Akustik im Studiobau

Wie schon oben beschrieben, lag Josef Wiedemann neben der „klassischen Ästhetik“ eines Gebäudes auch dessen Funktionalität am Herzen. . Er beschäftigte sich mit den Abläufen in einem Funkhaus, mit den Eigenheiten des Medium Radio. Gerade bei den drei großen Studios im Erdgeschoß gilt das Prinzip der kurzen Wege. Schnell geht es über Wendeltreppen von den Tonregien in die Aufnahmesäle hinunter, kurz sind die Wege vom Dirigenten- und den Einspielzimmern, den größeren und kleineren schallisolierten Proberäumen hinauf zur Bühne. Alle Aufnahmeräume sind neben den Publikumszugängen von zwei Seiten zugänglich. Die drei Lastenaufzüge transportieren Flügel oder Cembali direkt vom Instrumentenlager im Untergeschoß auf die Bühnen der Studios 1 - 3. Ein vierter Lastenaufzug bedient das ganze Haus, im Erdgeschoß auch von der Marsstraße aus begehbar für die Anfahrt von Instrumenten und größeren Gerätschaften. Der Studiobau ist ein großartiges, perfekt durchdachtes und durchgeplantes Konstrukt aus Gängen, zweckmäßigen und repräsentativen Treppenaufgängen, Lagern, Abstellräumen und Werkstätten, gläsernen Tonregiekanzeln über der Bühne mit Blick auf das Geschehen unten. Wie eine Burg mit verschachtelten Auf- und Abgängen; Geheim- und Durchgängen wie ein Labyrinth, aber wohl „geordnet“, inklusive Aha-Effekten, weil man über schmale Gänge und Eisentüren plötzlich wieder dort ist, wo man losgegangen ist, aber über einen anderen Weg.

In die sieben oberen Etagen führen 6 Personenaufzüge, an den Stirnseiten jeweils zwei im Bauhaus-Design gestaltete Treppenaufgänge mit den schmalen Fensterschlitzen. Um die Studiokomplexe, den Haus-im-Haus-Konstruktionen, führen Außengänge entlang der Fensterbänder zu den Arbeitsräumen. Es gibt nichts, was in dem Bau nicht machbar wäre. Es gibt zum Beispiel auch einen Lift für nur ein halbes Stockwerk, in dem man in analogen Zeiten die großen Wägen mit den Bandschachteln aus dem Zentralarchiv im 7. Stock zu den Studios fahren konnte.

Video zu den Abläufen in einem Funkhaus von 1959

Grundriss Studiobau, Studio II
Grundriss Studiobau, Studio II

Akustik

Zu der durchkomponierten Architektur kommt das „Klangwunder“ in den Aufnahmestudios, die optimal auf Wort- und Musikproduktionen ausgelegt und von Anfang an für den „guten Ton“ geplant wurden. Mit Unterstützung des „Instituts für Rundfunktechnik“ in Hamburg, mit deren Untersuchungen, Erfahrungen und Messungen, und mit dem Karlsruher Akustiker Wilfried Struve, der aus der weltberühmten Astronomenfamilie stammte, wurden die Studiowände mit akustisch vermessenen Masken ausgestaltet.
Die neun Wortstudios im 3. und 5. Zwischengeschoß bieten perfekte Voraussetzungen für Hörspiele, Features und Lesungen: mit akustisch verschieden gebauten Aufnahmeräumen, etwa schallarmen Studios, deren Wände so beschaffen sind, dass möglichst wenig Schall reflektiert wird, mit unterschiedlichen Bodenbelägen und gemauerten Wasserbecken. Alle Räume sind von den einzelnen Tonregien einsehbar, so dass der Sichtkontakt zu den Künstlern immer gewährleistet ist.

Alle Studios wurden von Beginn an als Aufnahmeräume geplant und die gesamte Errichtung und Ausführung des Studiobaus wurde dem Ziel untergeordnet, beste akustische Voraussetzungen für Tonaufnahmen in höchster Qualität zu ermöglichen. Im gesamten Freistaat Bayern gibt es keine vergleichbaren Gebäude mit Studioräumen dieser Qualität. Deutschlandweit gibt es nur wenige vergleichbare Objekte, etwa das WDR-Funkhaus oder das Funkhaus Berlin in der Napela-Straße, ehemals Sitz des Rundfunks der DDR.

Da alle Studios doppelwandig und entkoppelt konstruiert sind und auf Federn lagern, können alle Studios gleichzeitig bespielt werden, ohne von den benachbarten Räumen durch Störgeräusche beeinträchtigt zu werden. Durch die „Haus-im-Haus-Konstruktion“ sind sie auch von der Außenwelt völlig abgeschottet.

Bei der Gestaltung der Raumakustik der Studios wurde der Schwerpunkt auf eine vielseitige Nutzbarkeit für akustische Aufnahmen und damit auf einen neutralen Klang gelegt. Durch den Einbau detailliert geplanter Oberflächenstrukturen, speziell für den Raum akustisch vermessene Holzkassetten mit einer Kombination sowohl von Absorbern als auch von Reflektoren, wurde ein besonders linearer Frequenzgang der Raumantwort erreicht. Allein im Studio 1 wurden die Wände mit 1000 solcher tiefer, akustisch vermessener Holzkassetten verkleidet, deren vertikale und horizontale Stoßkanten mit Aluminium ausgestattet sind.

Zugleich wurde eine hervorragende Durchhörbarkeit und auf den Bühnen eine gute Wahrnehmung untereinander erzielt. Diese Eigenschaften sind durch kein modernes Multifunktionsstudio in ähnlicher Größenordnung erreichbar. Jedes Instrument glänzt, klingt präsent, kommt in seiner Klangfarbe voll zur Geltung. Und das nicht nur für das Publikum und die Aufnahme, sondern auch für die Musiker untereinander. Das sich gegenseitig hören ist Grundvoraussetzung für gemeinsames Musizieren, für den homogenen Klang eines Orchesters.
Mit diesen neutralen raumakustischen Eigenschaften lassen sich alle Musikrichtungen von Kammermusik über Jazz und Pop bis hin zu großer symphonischer Orchestermusik aufnehmen. Es können klassische Aufnahmesituationen ebenso realisiert werden wie experimentelle Aufnahmeprojekte oder immersive Audio / 3D-Audio Produktionen. Erwähnenswert sind auch die kunstvoll gestalteten Decken in den unteren drei großen Musikstudios, eine zackenförmige, kunstvoll und innovativ gestaltete Lichtdecke aus Plexiglas, die blendarm Studio 1 und 2 in diffuses Licht taucht. Ein Unikat, genauso wie die Decke im Studio 3, die mit einer prismenförmig profilierten Stuckdecke ausgestattet ist. Dort kommt das Licht aus einem Lichtband, das entlang der Holzkassettenwände verläuft.

Vortrag von Wilfried Struve zur Akustik des Studiobaus, gehalten auf der 6. Tonmeistertagung, München, 29. - 31.10.1963

„Luxuriöse“ Baukunst

„Bei aller Wertschätzung einer betont einfachen, handwerklich orientierten Architektur wurde Wiedemann zum Exponenten eines ‚luxuriösen‘ Bauwesens, wie er es bereits während seiner Zeit im Büro von Roderich Fick schätzen gelernt hatte“, schreibt Ilka Backmeister-Collacott in ihrer Dissertation: Josef Wiedemann – Leben und Werk eines Münchner Architekten: „Seine Werke zeichnet – ähnlich wie Ficks Architektur – ein subtiles Understatement aus. Der hohe, mit dem Bauen verbundene Aufwand gibt sich erst bei genauem Hinsehen preis: Das ‚Luxuriöse‘ liegt im Entwurf und seiner akkuraten baumeisterlichen Ausführung, in der Wahl hochwertiger Materialien, ausgeklügelter technischer Details und der Integration aufwendiger Sonderanfertigungen.“

Bauhistorische Besonderheiten

  • Benoto-Pfahlbauweise zum ersten Mal in Deutschland eingesetzt mit Unterstützung von Prof. Richard Jelinek von der TH München
  • Erfindung und technische Dokumentation eines „Injektionszugankers“ durch die Firma Bauer aus Schrobenhausen zur Befestigung der Umspundung aus Benoto-Pfählen; der Anker wird 1958 patentiert
  • Zum ersten Mal in Deutschland: ein Stahlskelettbau mit vorgehängter, hinterlüfteter Natursteinfassade (Muschelkalkplatten), frei aufgehängt nach amerikanischem Vorbild
  • Bündig in die Natursteinfassade eingeschnittene Aluminiumfenster
  • „Haus-im-Haus-Konstruktion“ für die 12 Studios, entkoppelt und auf Federn gelagert, deswegen können alle Studios gleichzeitig ohne Störgeräusche von außen und innen bespielt werden
  • Sonderangefertigte Lichtdecken aus Plexiglas in den beiden großen Publikumsstudios 1 und 2 über eine Fläche von knapp 900 m2, prismenförmig profilierte Stuckdecke im Studio 3
  • Je nach Studiogröße extra vermessene Wandmasken für optimale Akustik nach den neuesten Forschungen des „Instituts für Rundfunktechnik“ in Hamburg und unter Mitwirkung des Akustikers Wilhelm Struve aus Karlsruhe. Verbaut werden in Studio 1 – 3 knapp 2.000 tiefe Holzkassetten, die an den vertikalen und horizontalen Stoßkanten mit Aluminium ausgestaltet sind

Feierliche Einweihung am 19. September 1963

Obwohl schon einige Gewerke vor 1963 den Studiobau bezogen, fand am 19. September die feierliche Einweihung des Studiobaus statt, übrigens genau im selben Jahr wie das Bayerische Nationaltheater. Das Rundfunkorchester unter der Leitung von Werner Schmidt-Boelcke spielte ein eigens komponiertes Stück über das damalige Pausenzeichen des Bayerischen Rundfunks: 7 Variationen über „Solang der Alte Peter“ von Ulrich Sommerlatte, dem Berliner Komponisten aus Schliersee. Im Stil von Bach, Mozart, Wagner, Strauß, Orff, der Musica viva und einer bayerischen Fassung begeisterten die illustren Gäste. Die akustischen Finessen des großen Studios kamen zum ersten Mal einem großen Publikum zu Gehör: die brillante Raumakustik, die jedes Instrument erstrahlen ließ. Intendanz, Verwaltungsrat, Rundfunkrat und der Präsident des Bayerischen Landtags lobten das gelungene zukunftsweisende Gebäude für den „guten Ton“ als einzigartig in ganz Bayern, sogar in ganz Deutschland. Zum Schluss spielte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Jan Koetsier „Eine kleine Nachtmusik“ von Wolfgang Amadeus Mozart.

Video vom 17.9.1963 zur Einweihung BR Studiobaus

Nutzung bis heute

Seitdem ist der Studiobau das Herz des Bayerischen Rundfunks, täglich genutzt, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag von Wort- und Musikkünstlern, von Regisseuren, von Journalisten und Schauspielerinnen, von Schriftstellern und Philosophen. Er beherbergt das Notenarchiv, Teile der Bibliothek, das Schallarchiv mit diversen Tonträgern, die Sendekomplexe von Bayern 2, Bayern 3 und BR Klassik, gut 80 Büros für technischen Support, Redaktionen, Studiodisposition und Programmplanung, mit Proben- und Tonbearbeitungsräumen, Instrumentenlager, Klavierwerkstätte und 12 Aufnahme-Studios in allen Größen, Teeküchen und Aufenthaltsräume. Er begrüßt Besucher aus aller Welt, etwa zum ARD-Musikwettbewerb, zum „Prix Jeunesse International“, ein weltweit beachtetes Fernsehfestival für qualitativ hochwertige internationale Kinder- und Jugendprogramme, oder zum Bayerischen Chorwettbewerb, zu Jazz- und Volksmusik, zu Kinderkonzerten, Festivals und Popkonzerten und internationale Stars, die für hochwertig produzierte Tonträger den Bau schätzen, genauso wie Musiklabels, Warner Classics, Orfeo international, Sony classical oder Deutsche Grammophon. Dutzende preisgekrönte Produktionen wurden in den Aufnahmestudios geschaffen. Ganz im Sinne des damaligen Intendanten Christian Wallenreiter, der bei seiner Rede zur Eröffnung des Studiobaus am 19. September 1963 sagte:

„Ich bitte Sie, in allem, was hier geplant und unternommen wird, den Ausdruck des Willens zu sehen, Anwalt des Ganzen, Brücke zwischen den Menschen und Völkern, zwischen den Zeiten und zwischen den Gegensätzen zu sein. Dieser Bau lohnt sich nur dann, wenn in ihm in Freiheit der Geist der Weltverbundenheit und Weltverantwortung lebt, der Mut zum klaren Denken, der Wille, das Gemeinsame und Unvergängliche zu suchen, wenn wir in dieser Bindung, in der Bescheidenheit des Geistes, der Achtung vor dem Vertrauen des Hörers die Sprache des wachen Gewissens und redlichen Wollens vernehmen lassen, die erfüllte Sprache, in der Menschen einander verstehen und sich miteinander verständigen. Das ist unser Ziel, ihm gilt unser Streben.“

Geschichte des Studiobaus

Räumlichkeiten (Auswahl)

  • 3 große Publikumsstudios mit knapp 900 Plätzen mit einer Gesamtfläche von über 1.100 m2
  • 4 Lasten- und 6 Personenaufzüge
  • 300 m2 Instrumentenlager im Untergeschoß mit Klavierwerkstätte
  • 16 Solistenzimmer
  • 1 Dirigentenzimmer mit Dusche
  • Künstlerfoyer mit über 200 m2
  • 9 große Wortaufnahmestudios mit einer Gesamtfläche von über 1.100 m2
  • Multimediakomplex mit 180 m2
  • 35 schallisolierte Tonbearbeitungsräume mit Regie und Aufnahmeraum
  • 3 Sendekomplexe für Bayern 2, Bayern 3 und BR Klassik mit 800 m2
  • 85 Redaktions- und Büroräume
  • Schallarchiv mit ca. 1000 m2 für 360.000 Bänder, 81.000 LPs, 40.000 Singles oder 7.000 Schellacks 

Baukosten

Knapp 50 Millionen Mark, das entspricht einer heutigen Summe von ungefähr 190 Millionen Euro